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Ein Muskelprotz zertrümmert die Vorlaufsieger

Ein Muskelprotz zertrümmert die Vorlaufsieger
Nachschau Berlin-Mariendorf, 07.08.2016

Mit einer deftigen Überraschung endete das 121. Deutsche Traber-Derby. Keiner der vier imponierenden Vorlaufsieger setzte sich die mit 132.846 Euro Apanage unterfütterte Krone des Jahrgangs 2013 auf. Zum dritten Mal nach 2013 und 2015, als Tiger Woods As bzw. Ferrari Kievitshof triumphierten, ging das Blaue Band durch Muscle Scott an die Kombination aus Paul Hagoort als Vorbereiter und Robin Bakker als Vollstrecker. Für den Trainer aus dem kleinen 220-Seelen-Örtchen Oldetrijne „zwei Steinwürfe“ von Hollands Trabermetropole Wolvega entfernt war Berlin sogar schon zum vierten Mal eine Derby-Reise wert: Seinen ersten Derbysieger formte der 38jährige 2009 mit Zar As, den damals Roland Hülskath steuerte.
 
Was war im Vorfeld nach den Vorläufen vor einer Woche, bei denen keiner der vier Qualifikations-Sieger auch nur den kleinsten Wunsch offen gelassen hatte, von selbsternannten und tatsächlichen Experten im auf dem Papier offensten Derby der letzten Jahre, ja Jahrzehnte über Taktiken, Rennverläufe und Szenarien gefachsimpelt worden - und dann wurden alle Spekulationen bereits am Start über den Haufen geworfen. „Der Rest wird fürs große Geld auf Ausfälle dieser Matadore hoffen müssen. Brillant hat sich nach einem Traumrennen Muscle Scott verkauft.“ So war es in der Rennprogramm-Vorschau zu lesen und der Sohn des einstigen Zweijährigen-Weltrekordlers Muscle Mass, eines Bruders zu Hambletonian-Sieger Muscle Massive, von dem tags zuvor ein „Sprung“ versteigert worden war, folglich mindestens als Fünfter erwartet worden.
 
Soweit die Theorie. Die Praxis auf dem Platz sah völlig anders aus. Den ersten Strich durch die Vorab-Rechnung, auf der die vier großen Buben zwischen 30 (Orlando Jet) und 51:10 (Fiobano) prangten, machte Geronimo T, den Dennis Spangenberg nicht im Trab vom Start zu bringen vermochte. Der zweite folgte sogleich - durch den Torpedoantrieb, mit dem Comanche Moon pfeilschnell und problemlos „haste nich jeseh’n“ an die Spitze flog. Dadurch standen die Sterne günstig für Thorsten Tietz, der nun „nur“ noch seinen Fiobano aus der Todesspur an die Spitze wuchten musste - bei Zwischenzeiten von 1:06,1 für die ersten 300 und 1:12,1 für die folgenden 400 Meter kein Kinderspiel, das kurz nach Einbiegen auf die Tribünengerade vollbracht war. Michael Nimczyk saß nun in der Zwickmühle, die er mit einem beherzten Run seines Dreambreaker durch die Todesspur löste, womit Muscle Scott bei weiterhin hohem Tempo in dessen Rücken genau jenen Rennverlauf serviert bekam, den er brauchte. 
 
Was sich auf der Zielgeraden abspielte, war dann fast schon vorauszusehen - mit dem Dreh, dass nicht Orlando Jet aus dem Windschatten Muscle Scotts die meisten Reserven hatte, sondern eben der für norwegische Besitzer-Interessen laufende Hagoort-Schüler. Während sich Fiobano und Dreambreaker um die „goldene Ananas“ bzw. Platz fünf über die gesamte Zielgerade beharkten, sauste der prächtig anzuschauende, bullige Muscle Scott auf und davon. Keine Chance für Orlando Jet, auch nur im Entferntesten Hand an den Sieg zu legen. Weitere Überraschungen spielten sich dahinter ab: Der von letzter Stelle enorm spurtende Mr Shorty schnappte sich als auf dem Papier lediglich dritte Tietz-Kraft Rang drei knapp vor dem innen alles passend vorfindenden Muscle Boy AS, der damit 21.000 Euro seines üppigen Kaufpreises von 130.000 Euro auf einen Ruck wettmachte.
 
„Natürlich wusste ich, dass ich ein erstklassig vorbereitetes Pferd zur Hand hatte. Aber es passte von der Rennlage bis zur Tempoeinteilung auch alles exquisit“, resümierte Robin Bakker über jenen Derby-Sieger, den selbst sein Ausbilder bis weit ins Jahr dafür nur bedingt auf der Rechnung hatte und der erst auf den letzten Punkt aufs Gleis Richtung Blaues Band eingebogen ist. 
 
Halva von Haithabu in der Derby-Revanche
 
Ging die Derby-Revanche der Stuten sehr souverän an die eigens dafür mit Peter Untersteiner aus ihrer neuen Wahlheimat Schweden über die Ostsee geschipperte Indira Bo, die mit der schwachen Konkurrenz keinerlei Probleme hatte und somit ihren Stuten-Derby-Sieg bestätigte, so wurden in jener der Hengste und Wallache die Prognosen gewaltig auf den Kopf gestellt. Cash Hanover, inzwischen in den Besitz von Ulrich Mommert gewechselt und von Wolfgang Nimczyk trainiert, war gegenüber seinem furiosen Gelsenkirchener Saisoneinstand nicht wiederzuerkennen. Diesmal ließ ihn Falcon Dragon nicht vorbei, so dass er weite Teile als Anführer der Außenspur zubringen musste und im Schlussbogen derart gründlich Schiffbruch erlitt, dass er kaum fit and well gewesen sein kann. Auch Falcon Dragon zog nicht durch. War mit dem aus seinem Windschatten davon flitzenden Halva von Haithabu noch halbwegs als Sieger zu rechnen, dem Tausendsassa Jos Verbeeck ein geradezu genialer Partner war, so waren die Plätze zwei und drei der völlig formlos an die Spree gereisten Napa Valley und Friendship Newport kaum vorauszusehen und bescherten eine Viererwette-Quote von astronomischen 189.909:10.
 
Stark Bi und Rudi Haller - ein starkes Team
 
Schwer zu schlucken hatte die Mehrzahl der Wetter desgleichen am von den beiden Rennbahnen Jägersro und Mariendorf kreierten Super-Trot-Cup, dessen Finale mit 70.000 Euro ausgelobt war. Der übers gesamte Derby-Meeting in trefflicher Form agierende Rudi Haller nutzte die Gunst der Stunde, nämlich den frühen Totalausfall der beiden Schweden Usain Colt und Day or Night In sowie die Patzer der Frankie Brodde, Eagle B Butcher und Victorious Star, die nicht zum Ausschluss führten, aber Kraft und Positionen kosteten. Als dann auch noch The True F. den sofort in Front gezogenen Unity Knick müde massierte, hatte der 51jährige eher weniger Probleme, mit seinem starken Italiener Stark Bi aus der Innenlage einen leichten Sieg gegen Schwedens Vertreter Zigge Silvio, Victorious Star und The True F. zu landen. „Gut läuft er immer, doch gegen diese Truppe brauchst du halt alles passend und das nötige Quäntchen Glück“, strahlte der Österreich-Heimkehrer nach seinem Coup, der vom Sieg-Totalisator mit 259:10 sehr hoch bezahlt wurde.
 
Neben Robin Bakker, der unmittelbar vor dem Derby-Triumph mit Toscanini Font schon mal im Winner Circle Maß genommen hatte, schaffte Thorsten Tietz in seinem Wohnzimmer ein Double und damit ein kleines Trostpflaster für die einigermaßen zerzausten Derby-Hoffnungen. Mighty Hanover, der das von Bernadette Priller mit Gri Harry gewonnene Reiten praktisch am Start im Galopp abgebrochen und somit Kräfte für die zweite Auflage vorm Sulky gespart hatte, kam dank der Mithilfe der Rennleitung, die den „Sieger“ Pascal SAS wegen einer Nickligkeit, die Berlins Traber des Jahres 2015 vielleicht nicht mal ungelegen kam, im Nachgang ausschloss, zum 16. Sieg seiner 24 Starts umfassenden Laufbahn. Nichts zu deuteln gab’s hingegen bei Aggetto, mit dessen siebentem Saisonstreich Berlins Meister wie im Vorjahr den letzten Meeting-Sieger stellte. 2015 gebührte Dimitri W Eden diese Ehre.
 
Überdauert hat dieses Derby-Meeting einmal mehr Gustav Diamants Bahnrekord, den der „eiserne Gustav“ vor neun Jahren mit 1:11,9 markierte hatte. Am deftigsten wackelte er bei Abano Hs 1:12,0-Sturmlauf am Donnerstag (4. August). Heute kamen Hugo Langeweg junior und Fat Tony im Treffen der Derbysieger mit 1:12,2 nicht ganz so nah heran. Somit steht die schwergewichtige und prickelnde 9 Liter Magnumflasche Duval Leroy Champagner von Wine & Waters weiterhin zur Abholung bereit.
 
Obwohl an drei Renntagen der Derby-Woche kein optimales Wetter herrschte, gab es erneut Zuwächse bei den Besucherzahlen und auch der Umsatz pro Rennen konnte um 2% gesteigert werden.
 
Umsatz bei 14 Rennen: 709.040,78 Euro (incl. 298.080,08 Euro Außenwette)